Inhaltsverzeichnis

I.2.1 Prozessbeschreibung: Situationsanalyse

Zweck

Anleitung zur Durchführung einer qualifizierten und differenzierten Situationsanalyse im Rahmen des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM).

Geltungsbereich

Die Situationsanalyse ist mit allen Beschäftigten durchzuführen, die dem BEM zugestimmt haben. Sie bezieht innerbetriebliche und, soweit zur Erreichung der Ziele des BEM erforderlich, außerbetriebliche Aspekte mit ein.

Schnittstellen zu anderen Prozessen

Vorgelagerte Prozesse:

Nachgelagerter Prozess:

Gesetzliche Grundlagen

Die Situationsanalyse im Rahmen des BEM ist getragen von den Zielsetzungen des § 84 Abs. 2 SGB IX: Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und so den Arbeitsplatz zu erhalten.

Darüber hinaus geltende gesetzliche Grundlagen für die Situationsanalyse sind

Beschreibung

Um die gesetzlich vorgeschriebenen Ziele erreichen zu können, muss im Rahmen einer systematischen Situationsanalyse abgeklärt werden, von welchen Bedingungen/Faktoren die Arbeitsunfähigkeit der Betroffenen beeinflusst wird und welche Bedingungen/Faktoren seitens des Betriebes verändert werden können und sollen. Eine qualifizierte und differenzierte Analyse der Situation der betroffenen Beschäftigten ist deshalb die Grundlage für ein zielführendes Betriebliches Eingliederungsmanagement.

Ebenfalls ist im Rahmen der Situationsanalyse abzuklären, wie betrieblicherseits der/die Beschäftigte unterstützt werden kann, seine/ihre Gesundheit zu stabilisieren und/oder Überlastungen in seiner/ihrer privaten Situation abzubauen. Dabei soll seine/ihre Beteiligung und Eigeninitiative gefördert werden.

Die Situationsanalyse ist nicht als einmalige Momentaufnahme zu verstehen. Vielmehr handelt es sich bei der Situationsanalyse im Rahmen des BEM um einen fortlaufenden Prozess, in dem neue Informationen und Erkenntnisse aufgenommen, analysiert und bewertet werden und jeweils bei der Planung der betrieblichen Eingliederung Berücksichtigung finden müssen.

Aspekte und Durchführende der Situationsanalyse

Die Situationsanalyse ist der Prozessschritt des Betrieblichen Eingliederungsmanagements, bei dem die Anforderungen des Arbeitsplatzes an den/die Betroffene/n (Anforderungsprofil) und seine/ihre Ressourcen aus dem betrieblichen und privaten Umfeld sowie die Leistungsfähigkeit der/des Betroffenen (Fähigkeitsprofil) ermittelt werden. Aus dem Vergleich werden Maßnahmen mit dem Ziel abgeleitet, das Fähigkeits- und Anforderungsprofil in Übereinstimmung zu bringen.

Die folgende Grafik zeigt die verschiedenen Aspekte der Situationsanalyse und ordnet sie jeweils den für die Durchführung Verantwortlichen zu:

Abb.5: Die Aspekte der Situationsanalyse und die zur Durchführung Verantwortlichen

Das ermittelte Anforderungsprofil des Arbeitsplatzes und das vorhandene Fähigkeitsprofil der/des Betroffenen werden auf Übereinstimmung bzw. Abweichungen geprüft. Gibt es Differenzen zwischen den beiden Profilen, die bei dem/der Betroffenen zu Unter- oder Überforderung (fachlich, physisch, psychisch, geistig) führen können, sind die Möglichkeiten für die Beseitigung der Abweichungen zu prüfen.

Diese können in der Anpassung des Arbeitsplatzes und/oder der Arbeitsorganisation an die vorhandenen Fähigkeiten der/des Betroffenen oder in der Anpassung der/des Betroffenen an die Anforderungen z. B. durch Qualifizierung liegen.

Abb. 6: Abgleich von Anforderungs- und Fähigkeitsprofil

Bei der Analyse ist es wichtig, dass die Beteiligten sich nicht einschränken bezüglich der Vielfalt an Maßnahmen und/oder der Reichweite z.B. bei einer sinnvollen Veränderung, Umgestaltung oder Neugestaltung des Arbeitsplatzes. Das zentrale Ziel ist, der/dem Betroffenen am vorhandenen, an einem anderen oder einem ihren/seinen Fähigkeiten entsprechenden Arbeitsplatz die Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen.

Durchführende und beteiligte Personen

Die Situationsanalyse wird jeweils von der Person aus dem Integrationsteam organisiert und koordiniert, die das Fallmanagement auf Wunsch des/der Betroffenen übernommen hat. Die Zustimmung, Mitwirkung und Selbstbestimmung des/der betroffenen Beschäftigten bei der Situationsanalyse sind Voraussetzungen für die Durchführung.

(1) Der/die Arbeitsmediziner(in) wird in aller Regel zu folgenden Aspekten an der Situationsanalyse beteiligt:

Fazit: Der/die Arbeitsmediziner(in) soll aufgrund der ihm/ihr vorliegenden Informationen und den daraus abzuleitenden Erkenntnissen aufzeigen, über welche Ressourcen und Fähigkeiten der/die Betroffene verfügt. Darüber hinaus soll er/sie aber auch auf Einschränkungen hinweisen, um den betrieblichen Akteuren im Prozess der Wiedereingliederung die Möglichkeit zu geben, Anforderungen und Fähigkeiten in Übereinstimmung zu bringen. Er/sie soll sich ebenfalls aktiv bei der Arbeitsgestaltung einbringen und bei medizinischen Fragen die Schnittstelle zu anderen Fachärzten/innen und/oder anderen medizinischen Institutionen bilden.

(2) Der/die Fallmanager(in) übernimmt die Aufgaben

(3) Die Führungskraft (Vorgesetzte/r) ist beteiligt

Der/die Vorgesetzte ergänzt mit seiner/ihrer Beschreibung die Darstellung des/der betroffenen Mitarbeiters/Mitarbeiterin.

(4) Die Personalabteilung bzw. der/die jeweils zuständige Personalreferent(in)

(5) Die Fachkraft für Arbeitssicherheit ist im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung an der Situationsanalyse beteiligt und gibt Hinweise zur Arbeitsgestaltung.

(6) Das für den Bereich zuständige Betriebsratsmitglied und die Schwerbehindertenvertretung

(7) Externe Stellen werden hinzugezogen, wenn Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht kommen:

Darüber hinaus sollte zur Vorbereitung der Maßnahmenplanung geklärt werden, ob weitere Akteure über das Integrationsteam hinaus an der Maßnahmenplanung beteiligt werden. Diese können interne Experten (z.B. der/die Vorgesetzte oder die Sicherheitsfachkraft/ Arbeitsmediziner(in)) oder externe Experten (z.B. Vertreter/innen externer Leistungsträger wie Integrationsamt, BG, KK etc.) sein. Der/die Fallmanager(in) informiert den/die Koordinator/in des Integrationsteams über die Teilnahme interner und/oder externer Experten/innen. Der/die Koordinator(in) stellt die Teilnahme der externen Leistungsträger sicher.

Ablauf und beteiligte Personen der Situationsanalyse

Im Folgenden werden der Ablauf der Situationsanalyse und die Verantwortlichen/Beteiligten für die Durchführung des jeweiligen Schrittes dargestellt (siehe auch I.2.2 Ablaufschema: Prozessanalyse).

Schritt Verantwortlich/
Beteiligt
Einzusetzende Instrumente und
Dokumente
Anmerkung
Beauftragung des/der Fallmanager(in) Integrationsteam/ Fallmanager(in) I.2.11 Dokument: Auftragsblatt Fallmanager(in) Der Dokumentationsbereich im Auftragsblatt dient dem/der Fallmanager(in) als Checkliste und Hilfsmittel über zur Verfügung stehende Instrumente und Institutionen
Erstes Eingliederungsgespräch und weitere Eingliederungsgespräche Fallmanager(in), Betroffene I.2.3 Instrument: Leitfaden Eingliederungsgespräche, I.2.4 Dokument: Selbsteinschätzung Arbeitsbedingungen, I.2.5 Dokument: Selbsteinschätzung private Situation Grenzen zur Wahrung der Privatsphäre sind zu beachten
Erstellung des Anforderungsprofils grundsätzlich: Fallmanager(in), Betroffene I.2.6 Instrument: Anforderungsprofil
a) Dokumente prüfen und vervollständigen:

Aufgabenbeschreibung Arbeitsplatz
zusätzlich: ggf. Personalabteilung, Führungskraft, Betriebsrat/rätin I.2.13 Dokument: Arbeitsaufgabe (wenn Neuerstellung notwendig) Aufgabenbeschreibung auf Vollständigkeit und Aktualität prüfen und ergänzen, ggf. neu erstellen
Gefährdungsbeurteilung zusätzlich: Führungskraft, Fachkraft für Arbeitssicherheit, Arbeitsmediziner(in) I.2.7 Instrument: Gefährdungsbeurteilung Gefährdungsbeurteilung auf Vollständigkeit und Aktualität prüfen und ergänzen
Begehung Arbeitsplatz zusätzlich: Führungskraft, Betriebsrat/rätin, Fachkraft für Arbeitssicherheit, Arbeitsmediziner(in) I.2.8 Instrument: Begehung I.2.12 Dokument: Begehungsprotokoll Vervollständigung der oberen Instrumente
b) Informationen zu Anforderungsprofil zusammenstellen Fallmanger(in), Betroffene, zusätzlich ggf. Führungskraft, Arbeitsmediziner I.2.14 Dokument: Anforderungs- und Fähigkeitsprofil Alle Anforderungen des Arbeitsplatzes (fachliche, soziale, körperliche, psychische und geistige sowie die aus der Arbeitsumgebung) sind in das Dokument I.2.14. einzutragen
Erstellung des Fähigkeitsprofils:
a) Informationen/ Dokumente zusammentragen und ggf. vervollständigen
Fallmanager(in), Betroffene, zusätzlich: ggf. Arbeitsmediziner(in), externe Dienstleister/innen Führungskraft I.2.9 Instrument: Fähigkeitsprofil Informationen aus Attesten, arbeits-medizinischen Untersuchungen etc., Ressourcen berücksichtigen ggf. weitergehende Untersuchungen zur Leistungs- und Ressourceneinschätzung veranlassen

> Sicherstellen des Datenschutzes
b) Informationen zu Fähigkeitsprofil zusammenstellen Fallmanger(in), Betroffene, zusätzlich: Arbeitsmediziner(in) I.2.14 Dokument: Anforderungs- und Fähigkeitsprofil Alle Ressourcen und Fähigkeiten sind in das Dokument I.2.14 einzutragen
Abgleich von Anforderungs- und Fähigkeitsprofil Fallmanger(in), Betroffene, zusätzlich: Arbeitsmediziner(in) Zusätzlich: ggf. Führungskraft I.2.14 Dokument: Anforderungs- und Fähigkeitsprofil Der Abgleich zeigt Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitsplatzes und der Qualifikationserfordernisse auf. Diese sind in das Dokument I.2.14 einzutragen
Vorbereitung des Gesprächs im Integrationsteam Fallmanager(in), Betroffene I.2.14 Dokument: Anforderungs- und Fähigkeitsprofil Gemeinsames Gespräch zur Auswertung der Situationsanalyse und Absprachen zum Maßnahmenplanungsgespräch im Integrationsteam

Tabelle 3: Ablauf und Beteiligte in der Situationsanalyse

Methoden der Situationsanalyse

In der Situationsanalyse kommen insbesondere folgende Methoden zum Einsatz:

Qualitätskriterien bei der Situationsanalyse

Gesetzeskonformität

Die Situationsanalyse liefert die Basis für eine zielgerichtete Maßnahmenplanung. Im Rahmen der Situationsanalyse sind alle Potenziale zu überprüfen, die im jeweiligen Fall dazu beitragen könnten, die Ziele des § 84 Abs. 2 SGB IX zu erreichen. Darüber hinaus ist die aktuelle Rechtsprechung zu berücksichtigen:

Teilhabe und Selbstbestimmung

Zustimmung, Mitwirkung und Selbstbestimmung der betroffenen Beschäftigten bei der Situationsanalyse sind die Voraussetzung für die Durchführung der Situationsanalyse. Der/die Fallmanager(in) bespricht mit dem/der Betroffenen, an welchen Analyseschritten er/sie teilnehmen möchte. Verzichtet der/die Betroffene auf eine Teilnahme, werden ihm/ihr die Ergebnisse der jeweiligen Analyse mitgeteilt. Der/die Betroffene wird an der Entscheidung über Maßnahmenoptionen beteiligt und soll sein/ihr Erfahrungswissen einbringen. Mögliche Folgen werden mit ihm/ihr besprochen. Der/die Betroffene plant gemeinsam mit dem/der Fallmanager(in) die Vorbereitung der Maßnahmen.

Barrierefreiheit

Die verschiedenen Analysephasen werden mit der/dem Betroffenen in einer für sie/ihn verständlichen Form und Sprache durchgeführt. Bei Verständigungsproblemen (z.B. Menschen mit geringen Deutschkenntnissen, Menschen mit Sinnesbehinderungen) ist bereits im Vorfeld zu klären, ob zusätzliche Unterstützung von Übersetzern/Übersetzerinnen oder z.B. Gebärdendolmetschern/-dolmetscherinnen erforderlich ist. Sollte der/die Betroffene unter körperlichen und/oder psychischen Einschränkungen leiden, sind die Rahmenbedingungen (Erreichbarkeit bzw. Lage des Veranstaltungsortes, etc.) entsprechend zu gestalten.

Ressourcenorientierung/Nachhaltigkeit

Die Situationsanalyse wird unter Einbeziehung interner Experten/Expertinnen (Sicherheitsfachkraft, Arbeitsmediziner(in)) durchgeführt. Es ist bereits während der Situationsanalyse zu überprüfen, ob Vertreter/innen externer Institutionen (BG, KK, IFD, Integrationsfachdienste, Rentenversicherungsträger etc.) hinzugezogen werden sollen. Dies ist mit dem/der Betroffenen abzustimmen. Bei Maßnahmenplanungen, die den Arbeitsplatz, die Arbeitsorganisation und/oder die Qualifizierung der/des Betroffenen betreffen, sind die jeweiligen Führungskräfte sowie der Betriebsrat zu beteiligen.

Beteiligung

Die Situationsanalyse erfolgt im Rahmen eines beteiligungsorientierten Prozesses.

Diversity (Gender Mainstreaming, Alter(n)sgerechtigkeit, Migrationshintergrund)

Die Analyse der verschiedenen Aspekte soll auf die unterschiedlichen Lebenssituationen von Frauen und Männern, jüngeren und älteren Beschäftigten sowie auf unterschiedliche kulturelle Rahmenbedingungen Rücksicht nehmen. Die Ableitung der Maßnahmen aus der Situationsanalyse sollte nicht vom Geschlecht beeinflusst werden. Es sind aber die verschiedenen Voraussetzungen von Männern und Frauen zu berücksichtigen (z.B. Kinderbetreuung während Reha-Maßnahmen, alleinerziehend, usw.). Maßnahmen zur Qualifizierung und Arbeitsgestaltung haben darüber hinaus den veränderten Leistungsvoraussetzungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten älterer Mitarbeiter/innen Rechnung zu tragen.